Alexis Saile
von Roberta Fischli
Foto: Roberta Fischli
«Es wird immer besser», sagt Alexis Saile. Sein Blick wandert durch die Gaststube der Elisaburg – von der Bohrmaschine zur Bühne, und es wirkt, als könne er sich nicht entscheiden zwischen Skepsis und Optimismus. Saile ist ein Mann der gemischten Gefühle. Der Künstler ist gelernter Grafiker, aber seit zwei Jahren verdient er sein Geld hauptsächlich mit Fotografie. Er nimmt einen Schluck Apfelsaft aus einem Kristallglas von 1942 und sagt: «Ich sammle seit langem und seit zehn Jahren exzessiv.»
Fast täglich fährt der 41-Jährige mit seinem Velo ins Brockenhaus, manchmal auch mit einem Transporter. Er sammelt Schönes. Und das kann alles sein. Gläser, Caran-d’Ache-Bleistifte, gravierte Xylofone, handbemalte Holzdackel. Sein Atelier in Leimbach umfasst 100 Quadratmeter, darin stapeln sich 30 Kisten voll mit Schätzen, unsortiert für das Laienauge. An vorderster Front ist eine Auswahl dieser Schätze ausgelegt, auf alten Schreinertruhen, die er zusammengeschraubt hat. Die Kisten seien wunderschön, aber schon wieder zu hip, die müsse man eigentlich schon wieder loswerden – er blickt auf die Ansammlung seiner Schätze, Keramikteller und Garderobenhänger etwa, und scheint sich zu überlegen, die Behälter in diesem Moment auf die Strasse zu stellen. Die Sache mit Saile ist, dass er immer wieder von vorne beginnt, weil er nie zufrieden ist.
Bis zum September übernimmt er die Elisaburg an der Elisabethenstrasse in Wiedikon, eigentlich ein Restaurant, das im Sommer jeweils geschlossen ist. Saile träumt von einem eigenen Laden, schon lange, und die Elisaburg ist der erste Schritt dazu. Jede Woche wird das Lokal neu gestaltet. Die Elisaburg ist Kunstprojekt, Experiment, Laden, Museum. Letzteres auch, weil er alles zeigen, aber nicht alles loslassen will. Und weil er die Schweizerinnen und Schweizer erziehen will. «Die schönsten Gegenstände wurden alle schon produziert, aber die Leute rennen in die Läden und kaufen Plastik.» Dabei gebe es doch so viel Gutes, vor allem im Brockenhaus, sagt er und schüttelt den Kopf. Die Schirmmütze, das weisse Hemd, die blauen Stoffhosen, die Wollsocken und die Mokassins, alles stammt von dort.
Während Sailes Gastspiel wird die Elisaburg zum Erlebnisort, jeden Freitag spielt eine Band. An diesem ist es der Geiger Tobias Preisig, der sich mit drei Studenten von der Hochschule der Künste vor einer Videoprojektion in Ekstase spielen wird. Der Eintritt ist frei, die Musiker spielen gratis. Denn Saile wird von vielen gemocht, er ist grosszügig und lustig. Sein Umfeld unterstützt ihn bei dem – Freundin, Ex-Frau mit neuem Mann, dessen Schwester und der Götti seiner Tochter. Für das Konzert schraubt dieser mit ihm die Bühne zusammen, zwei Stunden bevor die Gäste eintrudeln, weil Saile zuerst überfordert ist mit der Situation.
Aber wenn er dann endlich loslegt, dann läuft es. Saile handelt präzise und überlegt, alles ist sorgfältig durchdacht. Jedes Messer sitzt am richtigen Platz, der Abstand zwischen dem japanischen Kochbuch und der Rassel ist stimmig. Er räumt jedem Objekt seinen Platz ein. Saile hat das Talent, Schönheit zu entdecken. Manchmal auch am Rand einer Landstrasse. Und er hat die Fähigkeit, sie sichtbar zu machen. Er kennt den Wert jedes Objekts, weiss mit einem Blick, aus welcher Zeit ein Glas stammt und woher, und weshalb ein Tonbecher fehlerhaft lackiert ist. Aber die Sache mit Saile ist auch, dass er keine Kompromisse machen kann. Er lebt im Atelier und bei seiner Freundin, «aber bei ihr darf ich nichts mitbringen, weil es dann nie aufhören würde». Hätte er eine eigene Wohnung, wäre sie asketisch, seine zweite Leidenschaft ist die Reduktion auf das Minimum. Denn Saile sammelt, aber nicht blind. Er ist ein Schatzsucher, der noch nie Mühe damit hatte, etwas zu finden.
(Roberta Fischli, Tages-Anzeiger vom 27. Juni 2013)