Amy Schumer
von Roberta Fischli
The Honesty Bomb
„Was für ein unvorteilhaftes Kleid“, murmeln zwei Besucherinnen, als die Kameras des Filmfestivals Locarno zu Amy Schumer schwenken. Die 34-Jährige ist hier, um die Europapremiere ihres ersten grossen Films „Trainwreck“ zu feiern, und dafür trägt sie eine schwarze enge Robe, unter der Brust schimmert transparenter Stoff. Amy, sorgfältig frisiert und in pfeilhohen Schuhen, steigt auf die Bühne, lächelt und sagt: „In Los Angeles halten sie meine Arme für meine Beine.“
Die Komikerin ist die Frau der Stunde. In Amerika ist sie ein Star, und das schon länger, und es wird nicht mehr lange dauern, bis das der Rest der Welt zu spüren bekommt. Denn Amy Schumer ist nicht besonders gross oder besonders schön, aber sie ist ein Erdbeben, und sie denkt nicht daran, Ruhe zu geben.
Ihr Höhenflug beginnt mit einem Tiefpunkt, einige Jahre zuvor. Damals ist sie neu an der Uni und punktet mit der grossen Klappe nur noch bei den Angestellten in der Cafeteria. Eines Morgens findet sie sich im Bett ihres Schwarmes, mit der schaurigen Erkenntnis, dass sie nicht die erste, sondern die letzte auf seiner Anrufliste war. Es ist ein Moment der Scham, würdelos und bitter, und die junge Frau beschliesst, sich selbst zu retten. Sie schubst den Typen von der Bettkante, verlässt das Zimmer und kehrt nie mehr zurück.
Jetzt sitzt sie im Hotel Eden Roc in Ascona, in einigen Stunden wird ihr erster Spielfilm auf der Piazza Grande gezeigt, und sie deklariert gerade, dass sie Sport für absolut überbewertet hält. War sie nicht mal mit einem Wrestler zusammen? Schumer legt den Kopf schräg, die Augen flackern, sie sagt: „Ja, und ich habe sein Herz gebrochen. Ich hatte keine Lust darauf, zu den Spielen zu gehen und so zu tun als ob mich das interessieren würde.“
Die 34-jährige Amerikanerin ist eine Aussenseiterin im Fernsehgeschäft. Sie sieht nicht aus wie ein Hollywoodstar, sondern wie eine normale Person, sie ist nicht zierlich, sondern stämmig – „pretty, not gorgeous“, wie sie ihre Vorgesetzte in „Trainwreck“ beschreibt. Auf Durchschnittlichkeit ist man nicht unbedingt stolz. Aber damit kann man arbeiten.
Und das tut sie. Erfolgreich, gnadenlos, witzig. Schumer hat ihre eigene Comedy Sendung zur besten Sendezeit. Darin zeigt sie eine überzeichnete Version ihrer selbst, eine trinkfreudige, sexsüchtige, unsichere, naive, eitle Amy. Sie thematisiert ihre eigene Unsicherheit und sprengt damit Tabus. Sie macht sich lustig über den scheinheiligen Natürlichkeitswahn, sie thematisiert die amerikanische „Rape Culture“, die Peinlichkeiten beim Sexting, das Ablaufdatum von attraktiven Schauspielerinnen in Hollywood. Sie bringt ihr Publikum erst zum Lachen, und dann zum Nachdenken.
Es gibt auch andere starke Frauen im Glamourzirkus, sie heissen Rihanna oder Beyoncé, sie sind erfolgreich und furchtlos. Aber sie sind auch: sexy, ein Männertraum, eine Projektionsfläche, sie haben das Spiel durchschaut, und sie spielen es gekonnt.
Und jetzt kommt da eine, die bereits mit siebzehn entschied, ihre eigenen Regeln aufzustellen, und die bis jetzt ganz gut damit durchgekommen ist. Sie heisst Amy Schumer, und sie ist vielleicht nicht die erste, nach der man sich umdreht. Aber sie ist ganz bestimmt die letzte, die man vergisst.