Benjamin Clementine

von Roberta Fischli

benjamin clementine
Fünf Jahre lang spielte Benjamin Clementine gegen den Lärm der Pariser Metro an. Dann wurde er entdeckt. Jetzt singt er nur noch, wenn ihm das Publikum auch zuhört.

Benjamin Clementine fordert ungeteilte Aufmerksamkeit. Vielleicht ergreift er deshalb von jedem Raum Besitz, als stünde es ihm zu. Noch vor wenigen Sekunden sind die langen Finger über die Tasten des Klaviers geflogen, jetzt ruhen sie regungslos. Der bare Oberkörper ist in einen langen Mantel gehüllt, die Füsse nackt. Aufgewachsen in Edmonton, Nordlondon, lernt sich der Autodidakt von klein auf erst das Klavier, später die Gitarre. Clementine dürstet nach Anerkennung. Ihr Ausbleiben droht, ihn zu zerbrechen. Eines Tages zerstreitet er sich mit seinem Mitbewohner. Er packt eine Tasche und verlässt London, die Stadt, die ihn konsequent ignoriert. Als er aussteigt am Place de Clichy leuchtet der Schnee. Es ist Paris im November, Heimweh zieht in der Brust. Clementine schreitet zum nächsten Mülleimer und lässt sein Telefon hineingleiten. Der grossgewachsene Mann macht keine Kompromisse, am wenigsten mit sich selbst. Jahrelang lang spielt er sich durch die Stadt, ohne ihre Sprache zu sprechen, mit wenig Geld und keinem Zuhause. Dann wird er von einem französischen Agenten entdeckt. Nach einem Auftritt in der Jools Holland Show ermutigt ihn Paul McCartney, weiterzuspielen. Das tut er. Anfang dieses Jahres veröffentlicht er die EP „At Least For Now“, die Musik darauf ist einsam und eindringlich, an Intensivität fast überfordernd, wie er selbst. Benjamin Sainte-Clementine, wie er mit vollem Namen heisst, sagt: „Sobald Sie bereit sind, still zu sein, machen wir weiter.“ Er sitzt endlich da, wo er sich selber sieht: Am Klavier, im vollen Saal. Und er denkt nicht daran, sich an Geflüster zu verschwenden.

Roberta Fischli, Interview Magazine Germany vom April 2015