Endlich Frei Sprechen
von Roberta Fischli
Das Präsentieren wird in der Arbeitswelt immer wichtiger. Gleichzeitig haben die meisten echt Angst, vor Publikum zu sprechen. Wir haben bei einer Expertin nachgefragt, wie man den Auftritt souverän meistert.
Erst wird es still. Dann wird es heiss. Eben hast du dich noch entspannt gefühlt, die Notizen in der Hand, das Hemd am richtigen Ort. Aber jetzt wird dein Name aufgerufen, fremde Augenpaare richten sich auf dich. Plötzlich beginnt der Stoff zu jucken und du spürst, wie sich die Panik in deinen Nacken schleicht und deinen Mund austrocknet, wie dein Körper Blut in deinen Kopf pumpt und alle Schweissporen gleichzeitig in die Überproduktion fallen. Was jetzt? Wir haben Yael Herz, Dozentin für Auftrittskompetenz an der Pädagogischen Hochschule Zürich, nach Tipps gefragt.
Wovor habe ich eigentlich Angst?
Vor Leuten zu sprechen ist immer schlimm. Das liegt daran, dass das Sprechen vor Publikum für viele von uns eine Ausnahmesituation ist. Man ist komplett ausgeliefert – nicht nur den Zuhörern, sondern eben auch den eigenen Unsicherheiten und Neurosen, die man nicht unter Kontrolle hat.
Geht es je vorbei?
Leider nein. Aber das ist auch nicht schlimm. Denn der Stress bringt uns dazu, unsere Ideen mit mehr Energie zu vermitteln. Statt die Aufregung zu verteufeln, sollten wir also lernen, richtig damit umzugehen.
Was soll ich nur mit meinen Händen machen?
Ein Stift in der Hand sorgt für Halt und Sicherheit. Du kannst nicht still stehen? Keine Sorge, solange du nicht wild rumzappelst, ist das völlig in Ordnung. Bewegungen sorgen für Dynamik – und helfen dem Körper nebenbei, Stress abzubauen.
Ich werde immer rot oder kriege so komische Flecken im Gesicht.
Das sind Stresssymptome. Akzeptiere dich so, wie du bist, mit tomatenroten Wangen oder ohne. Wenn du deine Nervosität mit einem Witz selber auf die Schippe nimmst, nimmst du der Situation sofort die Peinlichkeit. Je weniger Panik du hast, desto entspannter bist du – und desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dir das nächste Mal wieder das Blut in den Kopf schiesst.
Soll ich alles auswendig lernen?
Auf keinen Fall! Wer stur alles auswendig lernt, leiert die Sätze herunter und setzt Stimme und Melodie falsch ein. Es ist wichtig, dass du beim Sprechen die Gedanken neu entwickelst. Nur so kannst du dein Publikum auch mitreissen. Viel besser als auswendige Sätze ist es, Stichworte zu notieren.
Ich weiss nicht, wo ich hinschauen soll.
Blickkontakt zum Publikum ist wichtig, um deine Zuhörer bei dir zu halten. Such dir diejenigen aus, die dir sympathisch scheinen und erzähl ihnen deine Geschichte. Wenn du dich nicht traust, ihnen in die Augen zu schauen, dann richte deinen Blick auf den Punkt beim Haaransatz. Die Wirkung ist fast dieselbe.
Gibt es eine Übung, die mir hilft?
Beim Einatmen nimmst du die Hände zu deinem Gesicht und schöpfst fiktiv Luft. Beim Ausatmen sprichst du laut den Buchstaben „F“ aus, und drückst die Hände wieder weg von deinem Körper. So bringst du Bewegungen und Atmung ins Gleichgewicht und beruhigst deinen Puls.
Welche Körperhaltung hilft?
Posiere wie ein Superheld! Das beeinflusst die Hormonausschüttung und damit deine Wirkung auf dich und andere. Mach dich gross und streck dich für mindestens zwei Minuten. Du wirst dich grossartig fühlen. Das merkt auch dein Publikum.
Wie krieg ich eine positive Ausstrahlung?
Auch wenn dir beim Gedanken an den nahenden Auftritt zum Weinen zumute ist: Zieh deine Mundwinkel nach oben und lächle vor dich hin. Nach ein paar Minuten trickst du damit dein Gehirn aus, und es schüttet Glückshormone aus.
Wie kann ich deutlicher sprechen?
Steck dir einen Korkzapfen in den Mund, bevor du auf die Bühne trittst, und spreche deinen Vortrag so nochmals durch. Durch die zusätzliche Anstrengung sind deine Muskeln aufgewärmt – und du sprichst danach so deutlich wie noch nie.
Ich habe Angst, dass man mich nicht versteht.
Anstatt dich atemlos in die Präsentation zu stürzen, lasse den Blick vor dem Vortrag ruhig durch die Zuschauermenge wandern und vergiss dabei nicht, die Zuhörer in der letzten Reihe anzuschauen. So markierst du Präsenz, steckst visuell dein Territorium ab – und dein Körper stellt sich automatisch auf die richtige Stimmlautstärke ein.
Hilft Üben vor Publikum tatsächlich?
Ja. Egal, ob du dich im Seminar endlich zu Wort meldest oder deine kleine Schwester deinen Vortrag im Kinderzimmer probehören muss. Spätestens nach der dritten Mutprobe bist du um drei Erkenntnisse reicher: Keiner hat dich ausgelacht. Die Erde dreht weiter. Du lebst noch.
(Roberta Fischli, 20 Minuten Friday, 26. August 2017)