Julian Zigerli

von Roberta Fischli

Julian Zigerli

Es ist ein Spätsommerabend und Julian Zigerli ist nirgends zu sehen. Der Modeschöpfer ist eigentlich hier, um in der Zürcher Boutique En Soie die gemeinsame Kollaboration zu präsentieren. Aber der 30-Jährige steht im Ladeninnern und unterhält etwa fünf Personen gleichzeitig, er wirkt unbeschwert und unbekümmert. Drei Tage später sitzt er in seinem Atelier an der Zypressenstrasse, die Beine übereinandergeschlagen, und sagt: „Wenn du Modedesigner sein willst, musst du auch verkaufen können.“

Zigerli ist zwanzig Jahre alt und Student an Universität der Künste in Berlin, als er die Bedeutung der Inszenierung begreift. Er sagt: „Niemand sieht deine Jacke, wenn du sie nicht sichtbar machst.“ Es ist die erste Erkenntnis, die den Visionär vom Träumer unterscheidet. Beide haben grosse Pläne. Aber nur einer weiss, wie er sie umsetzen kann. Als er 2010 seine Abschlusskollektion Sugar, Spice, and Everything Nice zeigt, trifft diese auf eine Industrie im Umbruch. Gesucht wird ein neuer Mann, und Julian Zigerli hat ihn: sportlich, mutig, unübersehbar. Jacken mit integrierten Rucksäcken, Schlangenprint auf Schweizer High-Tech Stoff, farbig, klassisch, verspielt. Er erntet Lob und Aufmerksamkeit, und Zigerli beschliesst, seine Arbeit in Paris zu zeigen. Dort bleiben die Leute vor seinen Kleidern stehen. Am ersten Tag der erste Käufer, in den nächsten Tagen kommen weitere hinzu. Das ist eigentlich kaum möglich, er ist Jungdesigner, und er steht ganz am Anfang.

Obwohl man sich auch in Tokyo und New York für ihn interessiert, will sich Zigerli nicht auf einen Markt festlegen. Er zieht zurück nach Zürich. „Wenn du das tust“, sagt er, „musst du es fertig bringen, dass man dich dennoch sieht.“ Das scheint zu gelingen. Im Jahr 2014 wird er von Giorgio Armani eingeladen, seine Mode im Rahmen von dessen Nachwuchsförderungsprogramm in Mailand zu zeigen, als erster nicht-italienischer Designer überhaupt.

Die Zeitungen berichten über ihn, seine Arbeit wird gefeiert. Doch der Erfolg spiegelt sich nicht in den Zahlen. Denn der Markt für Modeschaffende in der Schweiz ist hart. Der hohe Anspruch an die Qualität, die geringe Risikolust. Zigerli macht trotzdem weiter. Ohne die finanzielle Unterstützung seiner Eltern, sagt er, hätte er sich bereits einen Zweitjob suchen müssen. Trotz oder vielleicht wegen dem Druck wächst das Label beständig. Mit jeder Saison wird seine Handschrift präziser. Er zeigt zwei Kollektionen im Jahr, 45 Stücke, plus die Basic Kollektion, alles in Europa produziert, abgerundet durch Auftritte in den sozialen Medien. Dort zeigt sich Designer oft selbst. Julian beim Wandern, Julian beim Feiern, Julian im Vergnügungspark. Die Selbstinszenierung ist Teil der Selbstvermarktung. Zigerli zeigt seine Welt und macht sie dadurch zugänglich.

Es ist seine Erfolgsstrategie, und sie funktioniert. Heute beschäftigt er ein Team von vier Personen, zwei seiner Kollektionen wurden mit dem Swiss Design Award ausgezeichnet. Seit einem halben Jahr unterrichtet er als Gastdozent für Modedesign in Basel. „Ich finde es nicht immer einfach, Ratschläge zu geben“, sagt er und zögert, „nicht alle können auf ein so unterstützendes Umfeld zählen wie ich.“ Damit sind nicht nur die Eltern gemeint. Zigerlis Welt besteht aus Künstlern und Fotografen, Illustratoren und Designern. Manche inspirieren ihn kurzweilig, mit manchen arbeitet er jahrelang. Was er seinen Studierenden mitgebe? „Ein Modedesigner muss die Menschen mögen.“ Denn sie sind es, für die er entwirft, und sie sind es, die seine Kleider kaufen. Und so gibt Zigerli immer auch ein Stück von sich: mit jedem Entwurf, mit jedem Foto, mit jedem Interview.

Die neue Grösse bringt auch neue Kosten. „Jeder Rappen, den ich ausgegeben habe, muss zurück fliessen“, sagt Zigerli und lacht kurz, „vorher höre ich nicht auf.“ Es klingt wie eine Aufforderung an sich selbst. Der Freigeist ist auch ein Pragmatiker, er kritisiert die kurze Halbwertszeit der Konsumwelt und begreift sich gleichzeitig als Teil davon. Will eine grosse Marke mit ihm zusammenarbeiten, ist das „in erster Linie ein Kompliment.“ Ein Resultat entsteht jedoch nur, wenn man ihm freie Hand lässt. Denn Julian, der Modedesigner, ist auch Julian, der Künstler, ein Stimmungsfänger, der seine Umgebung genau beobachtet, aufgreift, verarbeitet, um sie dann wieder loszulassen.

Die Schweiz fürchtet und bewundert ihre Visionäre. Und Julian Zigerli hat begriffen, dass er diesen Widerspruch für sich nutzen kann. Er entwirft für den internationalen Markt und begeistert damit Geschäftspartner zuhause. Diese wollen ein Gesicht, das profiliert ist, aufregend, aber nicht gefährlich, exotisch und doch nahbar. Und Julian Zigerli, der pragmatische Traumtänzer, besetzt genau dieses Feld, unangefochten, und unbesiegt.

(In gekürzter Fassung erschienen im Friday Magazin vom 18. September 2015)