Vor 20 Jahren: Bombenattentat in Oklahoma
von Roberta Fischli
Am 19. April 1995 setzte ein amerikanischer Kriegsveteran vor einem Regierungsgebäude in Oklahoma City einen Zeitzünder in Gang. Durch die Explosion starben 168 Personen.
Als die Überwachungskameras Timothy McVeigh am Morgen des 19. April 1995 dabei filmten, wie er seinen Kleinlaster unter den Arkaden eines Regierungsgebäudes in Oklahoma City parkierte und sich danach vom Parkplatz entfernte, hatte der 28-jährige bereits den Zünder betätigt. Es würde nur noch wenige Minuten dauern, bis er eine Detonation von mehr als zwei Tonnen Sprengstoff auslösen würde.
McVeigh war ein Sympathisant der Milizbewegungen, einem rechtsextremen Zweig des amerikanischen Konservatismus. Er hatte im Golfkrieg gekämpft und war durch die Ereignisse bei Ruby Ridge und Waco einige Jahre zuvor radikalisiert worden. Zweimal hatte eine Eskalation zwischen amerikanischen Bürgern und Bundesbehörden grosse Opferzahlen gefordert. Es war kein Zufall, dass sich an diesem Morgen, dem 19. April 1995, die Tragödie bei Waco in Texas zum zweiten Mal jährte. Damals hatte die amerikanische Polizei eine Siedlung einer Sekte belagert. Bei einem Schusswechsel waren über siebzig Anhänger der Bewegung getötet worden.
Rache an der Regierung
McVeigh war sowohl während der Belagerung wie auch einige Zeit später ein zweites Mal vor Ort gewesen und hatte sich angesichts des Vorgehens der Polizei in seiner Theorie einer Weltverschwörung und der Abneigung gegenüber den Behörden bestätigt gefühlt. Er wollte sich an der Regierung rächen, wie er in einem späteren Brief an den amerikanischen Fernsehsender Fox News erklärte. Unterstützung für das Attentat leisteten ihm Terry Nichols, den McVeigh einige Jahre zuvor in einem Ausbildungscamp der amerikanischen Armee kennengelernt hatte, sowie Michael Fortier, mit dem er sich während seiner Zeit in der Armee das Zimmer geteilt hatte.
Die Bombe fabrizierten McVeigh und Nichols aus Ammoniumnitrat, einem herkömmlichen Stickstoffdünger. McVeigh hatte beim Aussuchen des Zielobjekts die Opferzahl der Nicht-Regierungsangehörigen möglichst klein halten wollen, wie es in der von ihm autorisierten Biografie «American Terrorist» heisst, welche die Journalisten Michel Lou und Dan Herbeck geschrieben haben. Die Wahl fiel auf das Alfred-P.-Murrah-Gebäude, das nach einem Richter in Oklahoma City benannt war. Es beherbergte rund vierzehn staatliche Organisationen, darunter die Antidrogenbehörde DEA.
Verheerende Wirkung
Als weiteres Kriterium bei der Auswahl des Gebäudes nannte McVeigh den optischen Effekt der Explosion; die Glasfassade des Gebäudes würde aufsehenerregend zerbersten. Der angrenzende Parkplatz sollte die Kraft der Detonation eindämmen und benachbarte Gebäude sowie die Mitarbeiter dort schützen. Das war allerdings nicht der Fall. Die Explosion des mit Sprengstoff vollgepackten Kleinwagens beschädigte oder zerstörte 324 Gebäude, 86 Autos und brachte 258 Glasfassaden zum Bersten. Bei dem Anschlag kamen 168 Personen ums Leben, mehr als 680 Personen wurden verletzt. Der Schaden belief sich auf 652 Millionen Dollar. Dass das Murrah-Gebäude auch einen Kinderhort beherbergte, war McVeigh laut eigenen Aussagen nicht bekannt. 19 Kinder starben bei dem Anschlag.
Die Detonation im vergleichsweise provinziellen Oklahoma kam für viele der Einwohner unerwartet. Umso grösser waren der Schock und die darauffolgenden Hilfeleistungen. Die Spenden waren so zahlreich, dass sie kurzzeitig zu logistischen Komplikationen führten, wie ein Dokument der Bundesbehörde in Oklahoma festhält. In den folgenden Tagen beteiligten sich mehrere tausend Personen an Rettungs- und Unterstützungsaktionen. Aus Sicherheitsgründen wurde das Gebäude wenig später ganz abgerissen und durch eine Gedenkstätte ersetzt.
Todesstrafe für McVeigh
Nicht einmal zwei Stunden nach dem Attentat war der Haupttäter McVeigh bereits in Polizeigewahrsam. Er war nach einer Geschwindigkeitsübertretung wegen fehlenden Autokennzeichens und illegalen Waffenbesitzes festgenommen geworden. Dass es sich bei McVeigh möglicherweise um den gesuchten Attentäter handeln könnte, zog die Polizei jedoch erst kurz vor seiner Entlassung zwei Tage später in Betracht. Forensische Spuren brachten ihn und seinen mutmasslichen Komplizen Terry Nichols mit dem Anschlag in Verbindung. McVeigh, der bis zum Schluss von der Richtigkeit seiner Tat überzeugt war, stritt seine Handlungen nie ab. In seiner Tasche fand sich neben anderen Notizen unter anderem ein Zitat vom Philosophen John Locke, in dem es heisst, ein Mann habe das Recht, einen anderen zu töten, wenn seine eigene Freiheit in Gefahr sei.
Im Jahr 1997 wurde McVeigh wegen Tötung von 168 Personen zum Tode verurteilt, Nichols wanderte lebenslänglich hinter Gitter. Michael Fortier und seine Frau Lori wurden als Komplizen verurteilt. Das Ehepaar zeigte sich jedoch bereit, vor Gericht gegen McVeigh und Nichols auszusagen. Damit sicherte sich Michael Fortier eine reduzierte Haftstrafe, und Lori Fortier wurde Immunität zugesprochen.
Ausgebliebene Reue
Nach einer Verschiebung des Hinrichtungsdatums wegen nicht berücksichtigten Beweismaterials wurde der mittlerweile 33-jährige McVeigh am 12. Juni 2001 im Beisein von zehn Zeugen durch eine Giftinjektion hingerichtet. Die Hinrichtung wurde ausserdem anstaltsintern für die zahlreichen Angehörigen der Opfer per Video übertragen, was für einige Kontroversen sorgte. Die amerikanische Öffentlichkeit war noch Jahre später vom Ereignis traumatisiert. Der Prozess gegen den angeklagten McVeigh war jedoch nicht nur in seiner öffentlichen Resonanz einzigartig, sondern auch in seinem Umfang; das gesammelte Beweismaterial wog mehrere Tonnen.
Auf Wunsch des Verurteilten wurden nach der Giftinjektion Flugblätter verteilt, auf denen geschrieben stand: «I am the master of my fate, I am the captain of my soul.» Der Kriegsveteran zeigte bis zu seinem Ableben keine erkennbare Reue gegenüber dem Gewaltakt. In einem Brief an die Zeitung seiner Heimatstadt Buffalo liess er verlauten, dass er die Tötung von 168 unschuldigen Menschen bedauere. Die Schuld wies er jedoch weit von sich – und zeigte mit dem Finger auf die Regierung. Sein Ziel sei es gewesen, der Öffentlichkeit die schweren Verfehlungen der Administration in den Auseinandersetzungen mit den Verbarrikadierten von Waco und Ruby Ridge vor Augen zu führen.
(Roberta Fischli, Neue Zürcher Zeitung, 17. April 2015)