Wie man trotz Niedriglohn von einem Praktikum profitiert

von Roberta Fischli

Das grosse Manko von Maturanden und Studierenden ist die fehlende Erfahrung in praktischer Berufsarbeit. Darum kommt am Übergang ins Berufsleben niemand ohne Praktika aus. Doch Praktikum ist nicht gleich Praktikum. Die Bewerberinnen und Bewerber sollten sich auf der Stellensuche genau überlegen, was sie von ihrem Arbeitgeber erwarten und welchen Berufsweg sie einst einschlagen möchten.

Die internationale Organisation

Bester Zeitpunkt: nach dem Studium.
Alle wollen es, die wenigsten kriegen es: ein Praktikum in einer internationalen Organisation wie der UNO. Für die meisten Praktika in internationalen Organisationen wird ein Master- oder Lizentiatsstudium verlangt. Wer ein Praktikum will, muss ansehnliche Noten und exzellente Sprachkenntnisse haben, eine Festanstellung ist oft nicht in Sicht. ­Extrakurrikulare Aktivitäten wie Frei­willigenarbeit oder Mitarbeit in einer Studentenorganisation helfen entscheidend, um sich von der Masse abzu­heben. Auch altersmässig gibt es Einschränkungen; Bewerber, die über 32  Jahre alt sind, haben oft keinen Anspruch mehr auf eine Praktikumsstelle. Ein weiteres Schlagwort ist Mobilität; als Praktikantin oder Praktikant wird man dahin geschickt, wo man gebraucht wird. Ein entscheidender Nachteil ist die Tatsache, dass man für das Praktikum nur selten bezahlt wird – in der UNO muss man sich zusätzlich um Visa, Krankenkasse und Unterkunft kümmern.

  • Gut für den Lebenslauf

  • Wertvolle Erfahrungen, dafür oft schlechte Konditionen

  • Interessant für Politologen, Wirtschafts- und Rechtsstudenten, die später in einer internationalen Organisation arbeiten möchten

  • Je früher, desto besser – denn die berufliche Laufbahn in einer internationalen Organisation kann ein ziemliches Treppensteigen sein

  • Vorsicht: Einige Arbeitgeber bieten jedem Bewerber nur einmal ein Praktikum an.


Die Kreativagentur

Bester Zeitpunkt: nach der Matur, zwischen Bachelor- und Master-Studium.
Besonders kleinere Agenturen leiden oft unter Personalmangel und kleinen Budgets. Deshalb haben viele eine Praktikumsstelle, die sie alle paar Monate neu besetzen. Hier einen Praktikumsplatz zu ergattern, ist in der Regel nicht besonders schwierig, die Arbeit wird aber mit einem niedrigen Lohn abgegolten – wenn überhaupt. Der Arbeitgeber preist ein Praktikum in der Regel als «Einblick in die Berufswelt» an, und als das muss es auch verstanden werden. Die schlechte Nachricht: Du wirst zuerst Kaffee machen und Dokumente sortieren müssen – all das, wofür sonst niemand Zeit und Lust hat. Die gute Nachricht: Du kannst viel mehr daraus machen. Wenn du hart arbeitest, werden dich deine Vorgesetzten in spannendere Projekte einbeziehen und dir die Möglichkeit ­geben, aktiv teilzunehmen. Denk daran: Du bist nur für ein paar Monate da, dein Gehalt ist ziemlich sicher lausig – deshalb ist es umso wichtiger, den grössten Nutzen daraus zu ziehen. Sammle Kontakte, lerne so viel wie möglich und scheue dich nicht davor, als Erste/r im Büro zu sein und als Letzte/r zu gehen.

  • Für alle, die noch nicht genau wissen, wohin sie wollen

  • Oft schlechte Konditionen

  • Eigeninitiative ist gefragt

  • Dauer: zwischen zwei und sechs Monaten

  • Vorsicht vor Ausbeutung: Es ist hier keine gute Idee, das Praktikum ohne Aussicht auf Anstellung zu verlängern.


Das Grossunternehmen

Bester Zeitpunkt: nach der Matur.
Im Gegensatz zu kleinen Agenturen mit festen Praktikumsplätzen haben grosse Arbeitgeber wie die UBS oder IBM ein ­Interesse daran, potenzielle Mitarbeiter auszubilden und an die Firma zu binden – oft zu sehr guten Konditionen. Die UBS zum Beispiel bietet ein 18-monatiges Praktikum für Maturanden an. Mit einem Monatslohn von mehreren Tausend Franken werden die Neulinge mit der Arbeitswelt und dem Reiz des Geldes bekannt gemacht. Auch der Informatikgigant IBM bietet Maturanden ein Praktikum an für das Zwischenjahr vor dem Studium. Oft besteht nach abgeschlossenem Studium die Möglichkeit, wieder bei der Firma einzusteigen. Optimal geeignet sind diese Firmen für Wirtschafts- oder Informatikinteressierte, wobei man tendenziell an zukünftigen Studenten aus allen Disziplinen interessiert ist, die gute Leistungen zeigen. Ein Interesse an betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen ist natürlich trotzdem Voraussetzung.

  • Praktika in einem Grossunternehmen haben oft eine festgelegte Struktur

  • Dauer: zwischen sechs und zwölf Monaten

  • Gute Anstellungsbedingungen

  • Aussicht auf Festanstellung

  • Grosser Lerneffekt dank guter Betreuung

  • Geeignet für Maturanden bzw. Studenten, die sich gut vorstellen können, in grossen und genau definierten Strukturen zu arbeiten.

 

Die soziale Stiftung

Bester Zeitpunkt: vor dem Studium.
Wer sich für ein Studium in Richtung ­soziale Arbeit an einer Fachhochschule bewirbt, von dem wird Praxiserfahrung erwartet – ein Praktikum im sozialen ­Bereich gewährt hilfreiche Einblicke in die spätere Ausbildung. Die meisten staatlich geförderten Organisationen/Insti­tutionen wie die Offene Jugendarbeit ­Zürich (OJA) oder auch Alters- und ­Jugendheime bieten mehrmonatige Praktika an.

  • Ein Praktikum bietet grosse Möglichkeiten: von der lokalen Kampagne bis zum Gestalten von Initiativen

  • Weil die Teams klein sind, sind Selbstständigkeit und Eigeninitiative gefragt

  • Oft projektbezogenes Arbeiten

  • In der Regel schlechte Bezahlung, dafür ist die Arbeit abwechslungsreich

  • Achtung: In grösseren Institutionen wie Alters- und Jugendheimen ist man wegen notorischer Unterbesetzung und Finanzierung oft auf Praktikanten als günstigere Arbeitskraft angewiesen.


Tipps und Tricks

1. Häng dich rein! Lieber kurz und intensiv statt lang und langweilig – sammle so viele Erfahrungen wie möglich.

2. Praktikanten werden kaum als potenzielle Konkurrenz wahrgenommen. Mach dir das zunutze! Nie wieder wird es so einfach sein, eine Firma in kurzer Zeit so gut kennen zu lernen.

3. Den idealen Zeitpunkt für ein Praktikum gibt es nicht. Ein Zwischenjahr nach dem Schulabschluss oder dem ­Bachelor-Studium ist aber günstig.

4. Eigeninitiative ist gefragt! Besonders in kleineren Agenturen und Betrieben hängt vieles von deinem persönlichen Einsatz ab. Bist du engagiert und interessiert, kannst du die Kaffeekanne bald zur Seite stellen. Oder nebenbei immerhin noch anderes machen.

5. Vorsicht vor der Verlängerungsfalle: Wenn du gute Arbeit geleistet hast, wird man dich ungern gehen lassen und dir eine Verlängerung anbieten. Meistens lohnt sich das nicht. Du bist eine extrem billige Arbeitskraft. Also: entweder fairer Lohn und Festanstellung oder gehen.

Roberta Fischli, Tages-Anzeiger vom 17. September 2013